Zum Tod von Papst Franziskus
von Pirmin Spiegel und Felix Goldinger
Er kam vom „Ende der Welt“, aus dem Süden Lateinamerikas – und veränderte das Zentrum. Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus, hat in seinem Pontifikat Zeichen gesetzt: für eine arme Kirche an der Seite der Armen, für ein neues Verhältnis zur Schöpfung, für eine Kirche der Barmherzigkeit.
Mit dem Namen Franziskus rief er Franz von Assisi auf: als Vision einer Kirche, deren Mitte der historische Jesus ist. Einer Kirche, die wie ein Feldlazarett ist – und nicht wie eine Festung. Einer Kirche, die heilt, nicht urteilt.
Seine Enzyklika Laudato si’ war ein prophetischer Text über das „gemeinsame Haus“ – ein Aufruf zur ökologischen Umkehr, der die ökologische mit der sozialen Krise zusammen dachte, beides Fragen der Gerechtigkeit. Seine Reisen führten ihn konsequent an die Ränder – zu Geflüchteten, indigenen Völkern, sozialen Bewegungen. Seine Symbolhandlungen – etwa die Fußwaschung in einem Flüchtlingslager – trafen eine Welt, die sich nach Echtheit sehnt.
Jeder Standpunkt ist die Sicht von einem bestimmten Punkt aus – und der Blick auf Kirche verändert sich grundlegend, wenn man ihn von Lateinamerika her denkt. Franziskus betrachtete die Welt nicht aus der Distanz der Mitte, sondern aus der Nähe der Ränder. Er dachte Kirche nicht über die Armen hinweg, sondern von ihrer Seite her. Als jemand, der aus dem Süden kam und in der befreiungstheologisch geprägten Wirklichkeit Lateinamerikas verwurzelt war, brachte er die Stimme der Verwundeten, die Hoffnung der Überlebenden und das prophetische Potenzial der Marginalisierten ins Zentrum einer globalen Institution.
Und doch: Die großen Strukturen der Kirche blieben weitgehend unangetastet. Franziskus war der Papst der leisen Revolution. Veränderung geschah, oft in kleinen Schritten. Hoffnung wurde geweckt, nicht immer politisch eingelöst.
Franziskus und die Logik tiefer Transformation
Gerade für alle, die heute Kirche neu denken – kontextuell, sozialraumorientiert, geistlich fundiert – lohnt sich ein genauer Blick auf sein Herangehen. Denn Franziskus vertraute auf ein Prinzip, das auch im Pioneering, in der Fresh-X-Bewegung und in der globalen Praxis kontextueller Kirchenentwicklung leitend ist: Transformation geschieht nicht „per Anordnung“. Sie wächst – langsam, brüchig, organisch – aus gelebten Beziehungen, gemeinsamer Erfahrung und geistlicher Unterscheidung.
Die Fresh X Journey: Schritte geistlicher Kirchenentwicklung
- Hören – auf den Geist Gottes, auf die Menschen, auf die Zeichen der Zeit
- Lieben und dienen – sich dem Leben im jeweiligen Kontext aussetzen, präsent sein, solidarisch handeln
- Leben teilen – Beziehungsräume gestalten, Verwundbarkeit zulassen, Gemeinschaft wachsen lassen
- Gestalten – neue Ausdrucksformen von Kirche entwickeln, die lokal verankert, an den Rändern präsent und geistlich getragen sind
- Reflektieren & weitergehen – im Bewusstsein, dass Kirche nie „fertig“, sondern immer im Werden ist
In gewisser Weise hat Franziskus diese Dynamik verkörpert. Er hat gelebt, wie aus geistlicher Haltung heraus konkrete Veränderung entstehen kann. Seine Symbolhandlungen waren oft erste Schritte in einer mixed ecology kirchlicher Realität: Einer Kirche, die das Gewachsene achtet – und zugleich das Neue erprobt. Einer Kirche, die nicht Struktur oder Spiritualität gegeneinander ausspielt, sondern beides in Spannung hält. Einer Kirche, die – wie viele Segensorte – weniger durch Konzepte überzeugt als durch gelebte Präsenz und Praxis.
Besonders in den Impulsen aus dem globalen Süden spiegelt sich ein verwandtes Kirchenbild: Kirche entsteht dort, wo Menschen miteinander unterwegs sind, den Schrei der Armen und der Schöpfung hören, sich dem Leben aussetzen und aus dem Evangelium heraus kontextuelle Ausdrucksformen des Glaubens und eine transformative Praxis entwickeln.
Was Papst Franziskus verkörpert hat – geistliche Unterscheidung, Nähe zu den Verwundeten, das Vertrauen auf das leise Wachsen – ist damit tief anschlussfähig an heutige Formen missionaler und sozialdiakonischer Kirchenentwicklung. Oder anders gesagt: Er hat Räume geöffnet, in denen Kirche neu und konkret sichtbar werden konnte – nicht als Idee, sondern als gelebter Segensort.
Zwischen Mut und Begrenzung: Was bleibt?
Und doch zeigt sein Pontifikat auch die Grenzen dieses Ansatzes. Das Ernennen von Schwester Raffaella Petrini in ein zentrales vatikanisches Leitungsamt war ein mutiger Schritt. Zugleich folgten diesem Mut kaum systematische und strukturelle Veränderungen.
Es zeigt: Innere Reifung benötigt eine Stützung mittels äußerer Rahmen. Kirche – wie jede Organisation – braucht beides: Räume für geistliche Entwicklung und zugleich strukturelle Konsequenz, die neue Möglichkeitsräume schafft.
Transformation ist stets doppelt zu denken: Sie braucht das persönliche Engagement – das Hören, das Unterscheiden, das Aushalten. Und sie braucht das institutionelle Handeln – mutige Entscheidungen, klare Verantwortungsstrukturen, sichere Experimentierräume.
Wenn beides zusammenspielt, wird aus Impuls substantieller Kulturwandel, entstehen neue Ausdrucksformen von Kirche – kontextuell, partizipativ, offen für die Zeichen der Zeit: entstehen Segensorte.
Für uns heute
Papst Franziskus hat Türen geöffnet. Er hat Hoffnung gestiftet. Er hat uns ermutigt, andere Wege zu gehen – auch wenn sie unbequem sind.
Sein Vermächtnis bleibt ein Auftrag: Kirche nicht zu verwalten, sondern mitzugestalten. Nicht um sich selbst zu kreisen, sondern dort zu sein, wo das Leben drängt. Nicht auf perfekte Pläne zu warten, sondern mit kleinen Schritten zu beginnen – verwurzelt im Evangelium, offen für das Neue, solidarisch mit den Verwundeten.
Transformation und Innovation beginnen dort, wo wir hinhören, mitgehen und dem Vertrauen Raum geben, dass Gott längst am Werk ist. Nicht das fertige Konzept verändert die Kirche, sondern der nächste glaubwürdige Schritt.
Schreibe einen Kommentar