Was wir von der niederländischen Pionierbewegung lernen können – und wie wir in Speyer damit weiterdenken.
Die Protestantische Kirche in den Niederlanden (PKN) hat mit ihrer Pionierbewegung von Erprobungsräumen in den letzten Jahren ein beeindruckendes Experimentierfeld geschaffen. Nun liegt mit der Broschüre „Tussenstand pionieren“ (Juni 2024) ein neuer Zwischenbericht vor, der nicht nur Zahlen und Fakten liefert, sondern tiefe Einblicke in Vision, Vielfalt und Herausforderungen dieser Bewegung gibt.
Ein Blick in die Broschüre
Die Broschüre gliedert sich wie eine Reisebeschreibung:
Teil I erzählt die Geschichte der vergangenen Jahre – von über 180 gestarteten Pionierorten, von Mut und Lernwegen, aber auch von Herausforderungen wie prekären Arbeitsbedingungen oder finanzieller Unsicherheit.
Teil II stellt neue Mitreisende vor – darunter die Messy Church (Kirche Kunterbunt), “Orte der Präsenz” oder klösterlich inspirierte Gemeinschaften. Diese erweitern das klassische Verständnis von Kirche durch alltagsnahe, kreative und kontemplative Formen.

Teil III widmet sich der Frage nach interkultureller Vielfalt: Wie gelingt es, neue Gemeinschaften so zu gestalten, dass sie unterschiedliche kulturelle Hintergründe verbinden und voneinander lernen?
Teil IV wagt einen Ausblick: Kirche als vielfältiges Mosaik, das nicht von oben gesteuert, sondern als geistgewirkte Bewegung von unten wächst.
Die Pionierbewegung wird die Kirche nicht “retten”. Das ist auch nicht das Ziel.
Tussenstand pionieren, S. 4
Die Hoffnung war immer, dass sie neben der Einbindung neuer Personengruppen eine frische Inspirationsquelle und ein Labor für bestehende Kirchengemeinden sein würde.
Impulse für eine Kirche im Wandel
Die niederländische Kirche steht vor ähnlichen Herausforderungen wie viele Kirchen in Europa – Mitgliederrückgang, zunehmende Säkularisierung, der Ruf nach neuen Formen des Kircheseins. Anstatt sich in Rückzug zu üben, öffnet die PKN mutig neue Räume: Erprobungsräume, in denen ausprobiert, gelauscht, gefeiert – und auch gescheitert – werden darf. Immer mit Blick auf die Frage: Wo zeigt sich etwas von Gottes neuer Welt?
Segensorte gestalten – eine Vision wird konkret
Auch im Bistum Speyer ist Kirche im Aufbruch. Die Stabsstelle für Innovation und Transformation begleitet Prozesse, die sich genau dieser Frage stellen: Wie kann Kirche in dieser Zeit neu Gestalt gewinnen? Zentral ist dabei die Vision von Segensorten: Orte, an denen Gottes Gegenwart spürbar wird – mitten im Leben der Menschen, jenseits klassischer Gemeindestrukturen. Die Stabsstelle bietet dafür Raum, Rahmen und Resonanz: für Initiativen in Pfarreien, in Sozialräumen, an den Rändern unserer bisherigen Kirchenpraxis.
Man kann eine Bewegung nicht “von oben” steuern. Es ist etwas, das “von unten nach oben” wächst.
Tussenstand pionieren, S. 9
Zu viel Kontrolle und Hierarchie neigen dazu, den Geist auszulöschen.
Ein Framework für den Wandel
Damit solche Transformationsprozesse nicht im Ungefähren bleiben, orientieren wir uns im Bistum Speyer an einem Framework für kirchliche Innovation und Gemeindeentwicklung. Es beruht auf fünf ineinandergreifenden Bausteinen:
- Theologische und pastorale Grundlegung: Kirche, die verwurzelt im Evangelium, kontextbezogen, mit einem missionalen Sendungsverständnis Segensorte gestaltet.
- Prozessarchitektur: Ein mehrjähriger, klar strukturierter Weg in drei Phasen: Vorbereitung – Erprobung – Etablierung, jeweils mit Formationsangeboten, Begleitung und Finanzierung.
- Governance und Verantwortung: Klare Rollenverteilungen zwischen Initiator:innen, Fachstelle, Beirat und Bistumsleitung; Qualitätssicherung über ein partizipatives Verfahren.
- Förder- und Unterstützungsinstrumente: Ein Innovationsetat, Formationswege, Coaching, geistliche Begleitung, Netzwerke und Anlaufstellen für rechtliche oder strukturelle Fragen.
- Kirchenrechtliche Integration: Verankerung neuer Gemeindeformen in der diözesanen Struktur – auf Basis eines „Mixed-Ecology“-Ansatzes, der Vielfalt anerkennt und fördert.
Was uns mit der niederländischen Bewegung verbindet
Was in den Niederlanden mit über 180 Pionierorten sichtbar wird, beginnt auch bei uns: mit einzelnen Initiativen, mutigen Personen, experimentellen Formaten. Das Framework aus Speyer bietet dafür ein tragfähiges Gerüst – übertragbar auch auf andere Diözesen oder kirchliche Kontexte.
Was uns verbindet, ist der gemeinsame Spirit:
- Innovation aus dem Evangelium heraus – nicht aus Mangelverwaltung.
- Transformation als geistlicher Weg – nicht bloß als Strukturreform.
- Eine Kirche, die sich nicht neu erfindet, sondern neu aufbricht.
Die Broschüre „Tussenstand pionieren“ ist eine Einladung zur geistlichen Neugier. Sie zeigt: Kirche kann anders. Und sie macht Mut, auch bei uns Schritte zu wagen – hin zu Segensorten, die mitten im Leben der Menschen entstehen. Vielleicht ist der nächste schon in deiner Nähe. Vielleicht bist du Teil davon.
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